Festrede von Gerhart Baum anlässlich der Veranstaltung zum 10-jährigen Jubiläum des Forum Menschenrechte am 11.03.2004 im Roten Rathaus Berlin
Festrede von Gerhart Baum anlässlich der Veranstaltung zum 10-jährigen Jubiläum des Forum Menschenrechte am 11.03.2004 im Roten Rathaus Berlin
Donnerstag, 11. März 2004 um 11:01
Das Forum Menschenrechte kann auf zehn Jahre harter, mühsamer, aber dennoch erfolgreicher Arbeit für die Menschenrechte zurückblicken. Jochen Motte hat die Gründung des Forums einen Glücksfall genannt – ein Glücksfall, der sich weiter bewähren muss.
Das Ziel war Informationsaustausch und Meinungsbildung zu Grundsatzfragen und Reaktion auf tagespolitische Ereignisse. Das Forum ist keine Dachorganisation, sondern ein bundesweites Netzwerk von Organisationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Aufgabengebieten – alle sind jedoch durch das Thema Menschenrechte verbunden. Es ist dem Forum gelungen, anerkannter Gesprächspartner von Parlament und Regierung zu werden und auch auf internationaler Ebene, z.B. in Genf, wirksam zu werden. So habe ich das Forum auch kennen gelernt. Wichtige Anregungen habe ich in intensiven Diskussionen jeweils vor den Sitzungsperioden der Menschenrechtskommission erhalten.
Joachim Krause, Werner Lottje, Volkmar Deile und Regina Kalthegener haben gute Aufbauarbeit geleistet, für die ich heute auch in Ihrem Namen danken möchte.
Anlass zur Zufriedenheit mit der Situation der Menschenrechte und der Nachhaltigkeit der Menschenrechtspolitik besteht in keiner Weise – es gibt Fortschritte, aber auch empfindliche Rückschritte. Zu denken ist an die negativen Folgen des 11. September 2001 für den Stelenwert der Menschenrechtspolitik und an den unseligen Irak- Krieg gegen das Völkerrecht und seine Folgen. Wir stellen einen globalen Klimawandel fest, zulasten der Menschenrechte.
Positiv zu vermerken ist: In unserem Land haben wir neue Institutionen, die die Menschenrechtspolitik stärker machen sollen – den Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, die Beauftragte für Menschenrechte des Auswärtigen Amts, das Deutsche Institut für Menschenrechte, das nach langjährigen zähen Verhandlungen mit Bundesregierung und Bundestag gegründet werden konnte – ein besonderer Verdienst der Hartnäckigkeit von Werner Lottje.
Der Beitritt der osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union hat deren Zivilgesellschaften gestärkt und wird sie weiter stärken. Die neue europäische Verfassung mit ihren Grundrechten wird ein Fortschritt sein.
Die Einklagbarkeit der dort fixierten Menschenrechte und ein Menschenrechtsausschuss der Europäischen Parlaments werden hoffentlich folgen.
Nationale und internationale Institutionen sind wichtig. Dazu gehören in meinem Augen – bei aller durch Kompromissnotwendigkeiten bedingten Schwäche – der Internationale Strafgerichtshof und die Spezialgerichte durch Sicherheitsratsbeschluss, die Einrichtung eines Hochkommissars für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen – beides letztlich Ergebnisse der Wiener Weltkonferenz, bei der sich 1993 auch westeuropäische Staaten noch ausdrücklich gegen den Hochkommissar und den Gerichtshof ausgesprochen hatten.
Der Umgang der USA mit dem Internationalen Strafgerichtshof ist nicht zu akzeptieren. Er wird dadurch geschwächt. Dennoch ist eine internationale Bewegung gegen die Straflosigkeit in Gang gekommen. Das neue deutsche Völkerstrafrecht, das der deutschen Justiz Anklage und Verurteilung bei bestimmten Straftätern von Ausländern im Ausland ermöglicht – also z.B. Anklage gegen diejenigen, die im Sudan Bomben auf Krankenhäuser, Schulen und Kirchen werfen – ist leider zu wenig bekannt und wird nicht praktiziert. Die deutschen Behörden tun in der Regel nichts, bevor nicht der Täter in Deutschland ist. Die Bequemlichkeit schützt die Täter. Die deutschen NGOs sollten die Staatsanwaltschaften mit einigen Musterfälle konfrontieren und Verfahren vorantreiben.
Dennoch: Institutionen und internationale Vereinbarungen, wie die 50 Jahre nach Verkündung der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ verabschiedete Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger – ein wirklicher Fortschritt angesichts so vieler Rückschläge nach Wien, an dessen Zustandekommen wir in Genf jahrelang gearbeitet haben, sind nicht das Entscheidende.
Entscheidend sind nicht Resolutionen und Protokolle. Entscheidend ist allein, dass es dadurch oder auf andere Weise gelingt, die Situation der Menschen tatsächlich zu verbessern und Schlimmeres zu verhindern. Entscheidend ist, ob das einzelne Individuum in den Genuss der Menschenrechte kommt – und das sind seit Wien auch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte. Das ist die Messlatte für alles, was wir tun. Allzu oft sollen wir durch Worte, durch den Wortlaut von Verfassungen, die nur auf dem Papier stehen, durch Dialogrituale ohne irgendeine Bereitschaft zur Veränderung auf Seiten der Dialogpartner beruhigt und von Aktivitäten abgehalten werden. Geben wir dem nach, verraten wir die Opfer und all diejenigen, die unter schwierigen Verhältnissen – oft unter Gefahr für Leib und Leben – die Menschenrechte verteidigen.
Am schlimmsten ist es für mich immer dann, wenn ich sehe, wie Regierungen oder Abgeordnete frei gewählter Parlamente mit autoritären Machthabern gemeinsame Sache machen oder sich missbrauchen lassen, und die Menschenrechte würdelos anderen Interessen unterordnen. Wie oft habe ich das z.B. während des Apartheid-Regimes in Südafrika erlebt und später Menschenrechte verteidigen.
Menschenrechte sind eine Querschnittsaufgabe internationaler und nationaler Politik, wie Kofi Annan das mit den Vereinten Nationen vorlebt, wenn er versucht, die Menschenrechte in allen anderen Bereichen der UN-Politik zu verankern. Menschenrechte waren auch das Querschnittsthema der verschiedenen Weltkonferenzen in den 90er Jahren.
Sie sind nicht das einzige Element in den internationalen Beziehungen, aber ein unverzichtbares.
Vorbild ist für mich nach wie vor die KSZE-Schlussakte, die neben den Elementen „Frieden“ und „Wirtschaftsbeziehungen“ gleichberechtigt auch die Menschenrechte zum Gegenstand hatten und auf diese Weise Solidarnosc und anderen Freiheitsbewegungen in Osteuropa wichtige Rückendeckung gegeben hat.
Es ist traurig, dass das 10-jährige Jubiläum der Wiener Schlusserklärung nicht sichtbar gefeiert wurde. Sie hätte es verdient gehabt. Wien hat die Rolle der NGO’s gestärkt. Die besondere Verletzbarkeit von Frauen und Kindern ist zum Thema geworden.
Das Recht auf Entwicklung wurde verankert. Wien hat den Hochkommissar und den Internationalen Strafgerichtshof – ich erwähnte es schon – auf den Weg gebracht – und insgesamt einen Bewusstseinswandel bewirkt angesichts der schrecklichen Situation im früheren Jugoslawien, unter deren Eindruck die Konferenz damals stand. Leider erzwingen erst die Katastrophen den Fortschritt.
Niemand konnte sich den damaligen Sachzwängen entziehen. Die Schlussdeklaration wurde von allen Staaten einstimmig angenommen. Heute gelingt es mitunter nicht einmal, Zitate der Wiener Schlusserklärung in UN-Resolutionen zu wiederholen. Die sog. „like-minded-countries“ lehnen das immer wieder ab. Wir haben uns weit von Wien entfernt.
Es sieht wie ein Widerspruch aus, wenn ich bei aller Kritik sage, dass das Menschenrechtsthema in den letzten Jahren nach der Wiener Konferenz stärker geworden ist – auch in den Beziehungen der Staaten untereinander -, ohne dass es wirklich gelungen ist, zu einer weltweiten Strategie zu seiner Durchsetzung zu gelangen. Auf der Stockholmer Konferenz zur Vorbeugung gegen Völkermorde hat Kofi Annan kürzlich von „beschämenden Versäumnissen“ der VN und ihrer Mitglieder in den 90er Jahren gesprochen. Er hat sich in Ruanda ausdrücklich für diese Versäumnisse entschuldigt. Es stellt sich die Frage: Haben wir dazugelernt aus den Erfahrungen in Kambodscha, in Ruanda, im früheren Jugoslawien? Wieder haben wir die Situation im Sudan vor Augen, bei der die vorbeugende Menschenrechtspolitik versagt. Es ist einerseits gelungen, auch durch eine aktive Rolle der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Staaten, den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd zu stoppen, Friedensverhandlungen sind weit fortgeschritten. Aber der Konflikt hat sich in die Westregion Dafour verlagert mit dem bekannten schrecklichen Bürgerkriegsbild. Tausende wurden und werden dort getötet, ca. 700.000 Menschen sind auf der Flucht, ohne ausreichende humanitäre Hilfe. Schon vor mehr als zwei Jahren wurde diese Gefahr benannt, ohne dass die Regierung in Khartoum unter Druck gesetzt wurde, die politischen Ursachen für diesen Konflikte ernst zu nehmen. Sie glaubt, den Konflikt durch Gewalt lösen zu können. Bis heute hat der Sicherheitsrat nicht reagiert, obwohl sich die deutsche Regierung darum bemüht und zahlreiche internationale Stellungnahmen das Ende des Krieges fordern. Aber: Es geschah nichts, obwohl die Lage immer bedrohlicher wurde, keine vorbeugende Diplomatie zur Eindämmung des Konflikts geschweige denn vorbeugende Aktionen, wie sie bei anderen Konfliktherden mitunter gelingen. Immer wieder machen wir diese bittere Erfahrung einer selektiven Wahrnehmung von Konflikten als ob in Afrika Menschenleben nicht ebenso viel wert sind wie Haiti, über dessen Lage wir allabendlich unterrichtet werden.
Ich bin in Gefahr, einseitig ein düsteres Bild zu zeichnen. Aber die negativen Folgen der Terrorismusbekämpfung für die Menschenrechte sind ein weiteres Stück Klimaverschlechterung! Für eine ganze Reihe von Staaten ist die Teilnahme an der Terrorismusbekämpfung eine Freibrief dafür, den Druck auf die eigene Bevölkerung aufrechtzuerhalten oder gar zu verstärken und man lässt sie ungeschoren. Im Grunde kann man den Terrorismus überhaupt nicht gemeinsam mit Despoten bekämpfen – aber manchmal bleibt nichts anderes übrig. Es darf aber keinen Terrorismusrabatt für diejenigen geben, nur dann, wenn sie den neuen islamistischen Terrorismus nicht unterstützen. Schon gar nicht darf es dazu kommen, dass diese Regime, wie z.B. Libyen noch gestärkt werden und internationale Reputation erhalten. Wir machen uns dadurch zum Komplizen autoritärer Machthaber.
Die Terrorismusbekämpfung hat aber auch in den westlichen Demokratien die Substanz der freiheitlichen Gesellschaftsordnungen geschwächt. Mein Freund Hirsch bringt diese Entwicklung im Menschenrechtsjahrbuch 2004 auf den Punkt, wenn er sagt: „ Es ist ein Ziel islamistischer Terroristen, die moralische und rechtliche Substanz der westlichen Welt zu treffen. Die Reaktionen zeigen, wie gering ihr Selbstbewusstsein und ihr Vertrauen in die Kraft einer freien und weltoffenen Gesellschaft geworden ist.“
Es ist sicher richtig: Der weltweite Terrorismus ist eine neue Art ernsthafter Bedrohung, gegen die neue Maßnahmen und Instrumente notwendig sind, aber nicht so weit gehende wie die Sicherheitspakete hier und der „patriot act“ in den USA.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem wegweisenden Urteil – eine Sternstunde der Verfassungsgerichtsbarkeit – zum sog. Lauschangriff in Wohnungen festgestellt, dass die Effizienz der Strafverfolgung die Grenze der Menschenwürde nicht überschreiten darf. Zu viele Unverdächtige geraten heute in das Visier der Sicherheitsbehörden. Es ist eine Diskriminierung, wenn z.B. Ermittlungen nur an den Tatbestand geknüpft werden, dass jemand Ausländer ist und einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehört.
Ich wünsche mir, dass die wegweisenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts über den entscheidenden Einzelfall hinaus eine Besinnung und eine Trendwende herbeiführen. Die Sicherheitsgesetze, insbesondere das Ausländer- und Asylrecht gehören auf den Prüfstand. Es darf nicht dazu kommen, dass die Art der Terrorismusbekämpfung in den freiheitlichen Gesellschaften mehr Schaden anrichtet als der Terror selbst.
Die Glaubwürdigkeit der Demokratie wird zutiefst erschüttert, so drückt es die „Süddeutsche Zeitung“ aus, wenn eine großes demokratisch verfasstes Land wie die USA „den Regelverstoß zur Norm erklärt und wie in Guantanamo oder in den Lagern in Afghanistan nackte Willkür übt.“
Der soeben veröffentlichte jährliche Menschenrechtsbericht der USA zu 196 Staaten wird dadurch zu einem Dokument der Heuchelei. Die USA behandeln sich selbst darin mit keinem Wort. Selbstkritik ist Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.
Freiheitsrechte sind Ausdruck der unantastbaren Menschenwürde und nicht vom Staat gnädig gewährte Privilegien, die zur beliebigen Disposition stehen.
Nicht nur der 11. September hat zu tief greifenden Veränderungen geführt. Seit längerem schon beobachten wir ein neues Phänomen: an die Stelle der Staaten treten zunehmend „Kriegsunternehmer“ – warlords, Söldnerbanden – die oft im Auftrag anderer zur Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen die Gesellschaften ausplündern, soweit das nicht schon die korrupten Regierungen tun.
Das erfordert neue Strategien. Ulrich Beck erwartet, dass das auf Staaten gestützte Völkerrecht allmählich von der Verfassung einer Weltinnenpolitik abgelöst wird mit der Einsetzung transnationaler Militärmacht um dem Ziel der Menschenrechte Geltung zu verschaffen. Gehen wir in ein Jahrhundert wachsender Pazifizierungs- und Menschenrechtskriege? Und wer entscheidet in solchen Situationen?
Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung, im äußersten Fall auch durch Soldaten. In den Vereinten Nationen sind die Menschenrechte zu einem Querschnittsthema geworden – das ist richtig. Es gibt erfreuliche neue Vereinbarungen, wie das Zusatzprotokoll zur Anti-Folter- Konvention, mit dem eine verbesserte Kontrolle von außen ermöglicht werden soll. Für dieses Vorhaben hat sich Deutschland in Genf jahrelang aktiv eingesetzt. Aber wie passt das zum gegenwärtigen Verhalten der Bundesländer in Deutschland! Das Protokoll muss nun endlich unterzeichnet und ratifiziert werden. Der Widerstand gegen den nationalen Besuchsmechanismus ist unerträglich und schädigt die Glaubwürdigkeit unseres Landes. Wie sollen wir von anderen etwas fordern, was wir selbst nicht akzeptieren?
Die Vereinten Nationen sind für die Menschenrechtspolitik ganz und gar unverzichtbar. Ihr Ansehen – so meine ich – ist durch ihre Demütigung im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg eher gewachsen. Sie sind ganz und gar unentbehrlich, um Alleingänge einzelner Staaten oder Staatengruppen zu verhindern, auch wenn ihre Zusammensetzung aus so vielen unterschiedlich orientierten Staaten keine Garantie für richtige Entscheidungen ist. Mit großem Respekt und tiefer Trauer gedenke ich an dieser Stelle des im Irak ermordeten Hochkommissars für Menschenrechte, de Mello. Auf seine als kämpferisch geltende Nachfolgerin richten sich unsere Hoffnungen.
In gefährlicher Weise geschwächt ist die VNMenschenrechtskommission. Sie ist in einer schweren Krise.
Amnesty sprach rückblickend auf 2003 von der „schlechtesten aller bisherigen Sitzungen“. Reporter ohne Grenzen sehen die Kommission überrannt von einer Gruppe von Staaten, die eher die Täter als die Opfer schützt. Deutliche Kritik kam von Kofi Annan und de Mello, die die Kommission ermahnt haben, ihre eigentlichen Aufgaben wahrzunehmen.
Es ist nicht zu bestreiten, dass insbesondere die europäischen Staaten unter aktiver Mitwirkung der Bundesregierung in der Kommission für die Menschenrechte kämpfen, auch wenn sie das nicht immer konsequent tun. Sie unterliegen aber immer öfter einer Mehrheit afrikanischer und islamischer Staaten.
So, wenn die verheerende Menschenrechtslage in Zimbabwe nicht einmal zur Tagesordnung zugelassen wird;
So, wenn Kuba von Kritik weitgehend verschont bleibt, auch nach einer neuen Welle von Verhaftungen und Todesurteilen;
So, wenn zur alleinigen Opfern religiöser Intoleranz auf der Welt die Muslime erklärt werden; So, wenn Resolutionen zu Tschetschenien und zum Sudan abgelehnt und solche zu China und dem Iran gar nicht mehr eingebracht werden.
Wir brauchen dieses weltweit einmalige Forum. Nach den Erfahrungen der letzten Sitzung kann aber nicht einfach zur Tagesordnung der nächsten Sitzung übergegangen werden. Der Westen muss in einer Grundsatzerklärung deutlich machen, wo er steht. Leider gibt es dafür bisher keine Anzeichen.
Fortschritte in Sachen Menschenrechte sind nicht allein mit Kritik zu erreichen. Sie erfordern langfristige Hilfen zur Verbesserung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse, zum Aufbau von Zivilgesellschaften, beharrliches Bemühen um ein neues Bewusstsein, neue Formen der Zusammenarbeit über die Grenzen der Staatengruppen hinweg. Das Ziel ist die Globalisierung der Demokratie. Ich meine, das ist keine weltfremde Utopie, es ist die Fortsetzung des Weges, auf den sich die Menschheit nach den Katastrophen des schrecklichen 20. Jahrhunderts gemacht hat.
Es ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, das von Land zu Land den Einsatz unterschiedlicher Strategien erfordert. Die Zahl der Demokratien hat in den letzten Jahren zugenommen. Das ermutigt.
Dennoch wird immer wieder wird das Ziel der Universalität der Menschenrechte infrage gestellt. An der Universalität darf es keine Abstriche geben, etwa im Hinblick auf andere Religionen und Kulturen. Wer dies tut, kommt leicht ins Rutschen. Irgendeine Kultur von vorneherein als unfähig zur Demokratie zu bezeichnen, zeugt von Arroganz. Nehmen wir z.B. die arabischen Gesellschaften, denen angesichts des islamistischen Extremismus unsere besondere Aufmerksamkeit gelten muss. Wichtige Gruppen in den arabischen Gesellschaften fordern immer nachdrücklicher rechtsstaatliche Reformen. Sie lassen sich nicht von dem Vorurteil beirren, Islam und Menschenrechte seien ein Gegensatz.
Der indische Nobelpreisträger Amartya Sen sagt: Wer Demokratie als rein westliche Idee ansieht, vernachlässigt die intellektuelle Geschichte anderer Gesellschaften und die globale Entwicklung demokratischer Ideen. Ich kenne keine Weltreligion, die nicht auf der Würde des Menschen beruhen würde.
Die Modernisierungsidee der deutschen Außenpolitik für den Nahen und Mittleren Osten, wie sie jetzt die Bundesregierung vertreten wird, wird nur bei einer Stärkung der dortigen Zivilgesellschaften gelingen, wenn also Bündnispartner in den Ländern selbst gewonnen werden können. Nur so könnte auch der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern entschärft und damit ein entscheidender Beitrag zur Beseitigung des Terrorismus geleistet werden – nachhaltiger als allein durch die Sicherheitsbehörden mit ihren immer weiter wuchernden Kompetenzen.
Sicher: Noch sind die Zivilgesellschaften dort schwach. Zu ihrer Stärkung gibt es keine Alternative. Der arabische Human Development Report – allein von arabischen Experten verfasst – hat das Demokratiedefizit auch als Ursache von wirtschaftlicher Unterentwicklung beschrieben.
Die Türkei, ein Land des Islam mit demokratischer Verfassung auch wenn es noch viele Mängel gibt – hat sich auf den Weg hin zu Europa und zu europäischen Standards gemacht. Sie ist in ihrer Brücken- und Beispielfunktion unverzichtbar. Wenn dieser Prozess der Annäherung hin zur Aufnahme in die Europäische Union gelingt, denn ist dies ein Beitrag im Kampf gegen die terroristische Bedrohung.
Ich wollte nicht schwarzsehen, aber auch nicht in einen ungerechtfertigten Optimismus verfallen.
Menschenrechtspolitik bleibt eine große Aufgabe, eine große anstrengende Herausforderung.
Viele in diesem Saal haben sich dieser Aufgabe verschrieben. Ihnen möchte ich sagen:
Es gibt keinen Anlass zur Resignation. Unzählige Menschen überall auf der Welt hoffen auf aktive Menschenrechtsverteidiger. Sie dürfen nicht im Stich gelassen werden.
Das Forum Menschenrechte stellt sich dieser Herausforderung. Ich wünsche ihm Kraft, Ausdauer und Mut und manchmal auch den Mut, das scheinbar Unmögliche zu wollen. Vieles, war wir nicht für möglich gehalten haben, ist Wirklichkeit geworden.
Download Festrede