Gastkommentar – amnesty journal April 2005
Gastkommentar – amnesty journal April 2005
Freitag, 01. April 2005 um 13:50
Original: amnesty journal 2005
Nur Entschlossenheit hilft
Die internationale Gemeinschaft muss angesichts der schweren Kriegsverbrechen in Darfur endlich Verantwortung übernehmen.
Von Gerhart Baum
Der vor kurzem vorgelegte Bericht der UNO-Expertenkommission hat belegt, dass in Darfur schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Die Regierung in Khartoum ist nicht willens und nicht in der Lage, die eigene Bevölkerung zu schützen. Sie führt vielmehr einen Vernichtungsfeldzug mit Unterstützung arabischer Milizen. Nach wie vor finden Angriffe auf die Zivilbevölkerung statt, und Frauen werden vergewaltigt. Kofi Annan hat die Lage in der Region als »Hölle auf Erden« bezeichnet.
Die Rebellen sind mitverantwortlich für den Konflikt, die Hauptschuld aber trägt die sudanesische Regierung. Die Hochkommissarin für Menschenrechte erklärte, dass einzelne Regierungsmitglieder in die Vorfälle in Darfur verstrickt seien und man der Regierung nicht mehr vertrauen könne. Zudem hat Milizenführer Musa Hilal bestätigt, dass er seine Befehle von hochrangigen Armee-Angehörigen erhält.
Das bittere Fazit nach einem Jahr vieler Konferenzen, Beschlüsse und Absichtserklärungen ist: Nichts hat sich geändert. Obwohl der Konflikt lange vorhersehbar war, hat die Völkergemeinschaft erneut versagt – zehn Jahre nach dem Genozid in Ruanda.
Was muss geschehen? Die Regierung in Khartoum ist der Schlüssel für eine politische Lösung. Diese Regierung, die über keinerlei demokratische Legitimation verfügt, muss unter Druck gesetzt werden. Doch dies geschieht nicht. Die USA und Deutschland, die sich für Sanktionen einsetzen, werden nur von wenigen europäischen Regierungen unterstützt. Der Sicherheitsrat ist durch das Veto von China und Russland blockiert, die Europäische Union ist sich nicht einig.
Längst hätten gezielte Sanktionen in Kraft treten müssen, wie es von allen hochrangigen UNO-Verantwortlichen kürzlich erneut gefordert wurde. Dazu gehören Reisebeschränkungen, der Zugriff auf Konten sowie ein Öl- und Waffenembargo. Die Öleinnahmen, die seit dem Waffenstillstand im Südsudan reichlich fließen, werden auch für Rüstungsimporte verwendet. Zudem müssen die internationalen Truppen zum Schutz der Zivilbevölkerung verstärkt werden. Die Afrikanische Union (AU) ist mit dieser Aufgabe überfordert. Rund 1.800 Soldaten befinden sich derzeit in Darfur, 10.000 jedoch wären nach Ansicht von Experten notwendig.
Ebenso müssen die Ergebnisse des Expertenberichts durch Beschluss des Sicherheitsrates zu Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof führen. In dem Bericht werden 51 Personen, zum Teil ranghohe Regierungsvertreter, für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Die USA lehnen zwar den Gerichtshof ab, es wird aber alles versucht, sie dennoch zu gewinnen.
Schließlich müssen Friedensverhandlungen aufgenommen werden. Die AU, die USA und die EU könnten jetzt tätig werden. In diesem Zusammenhang ist die Position der britischen Regierung besonders ärgerlich. Sie verhindert mit ihrem Widerstand wirksamen Druck auf die sudanesische Regierung. Über die Motive kann man nur spekulieren – derzeit bewerben sich britische Firmen um Ölkonzessionen. Mit dieser Uneinigkeit in Europa ist der Konflikt nicht zu lösen. All diejenigen, die jetzt nicht handeln, machen sich mitschuldig.
Die Ursache des Konflikts in Darfur ist die politische und ökonomische Marginalisierung der Region. Die Menschen dort sind in gewisser Hinsicht Opfer der Friedensverhandlungen für den Südsudan. Die »Süddeutsche Zeitung« sprach zu Recht von einem »Friedensvertrag ohne Frieden«, da der Krieg in Darfur keine Rolle gespielt hat. Dieser Vertrag hat keinen Bestand, wenn nicht alle Landesteile und alle politischen Gruppen einbezogen werden. Ich habe bereits in meinem Bericht an die Generalversammlung 2002 vor einer Destabilisierung des Sudan gewarnt. Heute ist das Land durch Aufstände im Osten im höchsten Maße gefährdet. Neben der Lösung der Darfur-Krise ist die Rückkehr der Flüchtlinge in den Süden vorrangiges Ziel. Ob allerdings die Stationierung von 10.000 Soldaten zur Friedenssicherung im Südsudan angesichts der Schutzlosigkeit der Zivilbevölkerung in Darfur vordringlich ist, möchte ich bezweifeln.
Es bleibt nichts anderes zu tun, als diese Situation weiter im öffentlichen Bewusstsein zu halten – die Flutkatastrophe in Ostasien hat nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Spenden abgezogen. Wir müssen die Regierungen ermutigen, eine klare Position einzunehmen. In der Sitzung der Menschenrechtskommission im April sollte daher nachdrücklich eine Resolution angestrebt werden, zu der die Einsetzung eines Sonderberichterstatters gehört. Wir müssen die Verbündeten derjenigen im Sudan sein, die Entsetzliches erleiden und die eine pluralistische Zivilgesellschaft aufbauen wollen. Das Land hat ein großes Potenzial. Doch weitere Entwicklungshilfe darf es erst geben, wenn die Forderungen der UNO erfüllt werden. Auch wenn es bisher keine Sanktionen gibt, leere Versprechungen gibt es seit Monaten.
Der Autor ist ehemaliger UNO-Menschenrechtsbeauftragter für den Sudan. Er war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister und ist Mitglied der FDP.
Zum Inzerview “Es ist kein Religionskrieg”