Schrottimmobilien: VuR Interview mit Bundesinnenminister a.D. Gerhart Rudolf Baum
Schrottimmobilien: VuR Interview mit Bundesinnenminister a.D. Gerhart Rudolf Baum
Freitag, 02. Dezember 2005 um 16:02
Pressemitteilung von: Kanzlei Reiter & Collegen
Veröffentlich auf openPR am: 02.12.2005
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum engagiert sich als Rechtsanwalt für Anleger, die durch den Kauf von so genannten Schrottimmobilien geschädigt wurden. In letzter Zeit ist es in der Öffentlichkeit etwas ruhiger um dieses Thema geworden. Im Interview mit “Verbraucher und Recht” schildert Gerhart Baum den aktuelle rechtliche Situation.
Sie engagieren sich stark als Anwalt für geschädigte Käufer von Schrottimmobilien – was hat Sie zu diesem speziellen Engagement bewogen?
Ich bin durch meine anwaltliche Tätigkeit in den letzten Jahren mit dieser Materie vertraut geworden. Viele Menschen, die durch faule Produkte und Fehlverhalten von Verkäufern, Vermittlern und Finanzdienstleistern geschädigt worden sind, haben mit mir über ihre wirtschaftliche und soziale Not gesprochen. Das Leid, das ich gesehen habe, hat mich sehr motiviert, mein Engagement für den Anlegerschutz zu verstärken.
Was konnten Sie dabei bisher konkret tun?
In Zusammenarbeit mit meinen Kooperationspartnern und anderen Kollegen haben wir in vielen Einzelfällen akzeptable Lösungen erreichen können und auch die Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam gemacht. Ich glaube schon, dass wir etwas für die Anleger bewirkt haben. Wir bekommen teilweise sogar Zuspruch aus der Bankenbranche, wo inzwischen die Erkenntnis gewachsen ist, dass Schwarze Schafe kenntlich und unseriöse Methoden aufgedeckt werden müssen. Unterstützung gab es auch von Seiten der Ex-Verbraucherministerin Künast, die sich nicht gescheut hat, den Schrottimmobilienskandal, in den die Bausparkasse Badenia verwickelt ist, öffentlich als BSE-Fall der deutschen Bankenwirtschaft zu bezeichnen.
Sie arbeiten ja auch mit den Verbraucherschutzorganisationen zusammen – wie sehen Sie deren Rolle auf diesem Gebiet? Was konnte bisher geleistet werden und was ist noch zu tun?
Den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. sehe ich als wichtigsten und unverzichtbaren Verbündeten auf dem Weg zur Stärkung des Anlegerschutzes. Von dort aus wird permanent auf Missstände im Verbraucherschutz hingewiesen und politischer Druck ausgeübt. Wir brauchen eine neue Qualität des Anlegerschutzes in Deutschland. Wirtschaftlicher Verbraucherschutz muss endlich auch von der Politik als Qualitätssicherung von Finanzdienstleistungsprodukten erkannt werden.
Der zuständige XI. Senat des BGH hat bisher eine wenig verbraucherfreundliche Rechtsprechung gepflegt, indem er zwar den Widerruf des Darlehensvertrages als rechtmäßig erklärte, den Käufern aber keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Zahlungen gegen Rückgabe der Immobilie zuerkannte. Gilt diese Rechtsprechung noch und ist dies generell die Position des BGH?
Der XI. Zivilsenat des BGH, der Bankrechtssenat, hat in der Tat in einer Vielzahl von Urteilen eine Rechtsfortbildung betrieben, die Banken weitgehend gegenüber allen rechtlichen Risiken durch Inanspruchnahme ihrer Kunden abschirmt. Die Rechtsprechung des XI. Senats wird aber auch von vielen Fachjuristen mit dem Hinweis angegriffen, dass sie dogmatisch nicht mehr nachvollziehbar ist. Das Vertrauen vieler Geschädigter in einen funktionierenden Rechtsstaat ist durch die Rechtsprechung des XI. Senats tief erschüttert. Hierzu haben auch die Äußerungen einzelner BGH-Richter beigetragen, wie etwa die des BGH-Richters Bungeroth, der das Verbraucherkreditgesetz als “Ölverschmutzung des Privatrechts” bezeichnet hat und der “legislativen Hydra des Verbraucherschutzes” am liebsten “einige Köpfe abschlagen” würde. Der BGH sollte alles vermeiden, was die Glaubwürdigkeitskrise vertieft.
Der II. Zivilsenat gilt dagegen als verbraucherfreundlicher. Wie groß ist sein Einfluss bei dieser Materie?
Die ausgewogenere Rechtsprechung des II. Zivilsenats wird zu Recht in der Öffentlichkeit gelobt, weil dieser die Messlatte für eine erfolgreiche gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche von Anlegern nicht unangemessen hochgelegt hat. Der XI. Senat dagegen verlangt vom Geschädigten, dass er das arglistige Verhalten der Bank im Einzelnen nachweist, wofür dieser jedoch Einblick in interne Finanzierungs- und Vertragsunterlagen der Bank benötigt, die er naturgemäß nicht erhält. Wie soll aber der Verbraucher etwas beweisen, was sich seinem Zugang entzieht? Auch hat der XI. Senat – anders als der II. Zivilsenat – bisher meistens die Augen davor verschlossen, dass Strukturvertrieb und Bank de facto Hand in Hand gearbeitet haben und die Rolle der Strukturvertriebe nicht ausreichend analysiert. Um in diesen Bereich Waffengleichheit herzustellen, benötigen wir eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, wie sie in anderen Bereichen längst üblich ist. Das Vertrauen der Betroffenen in die Rechtsprechung kann nur durch eine unabhängige und ausgewogene Rechtsprechung geschaffen werden, deren Urteile zum Rechtsfrieden beitragen und von allen Beteiligten anerkannt werden. Dies ist bei der Rechtsprechung des XI. Senates derzeit viel zu selten der Fall.
Der EuGH nimmt eine eher verbraucherfreundliche Position ein. Wie sieht diese aktuell aus? Gibt es einen Widerspruch zwischen BGH und EuGH?
Die Urteile des EuGH vom 25.10.2005 stellen in der Tat einen Durchbruch für die geschädigten Anleger dar. Hätten der deutsche Gesetzgeber und der BGH das Heininger-Urteil des EuGH vom 13.12.2001 korrekt umgesetzt und für eine effektive Wahrnehmung des Widerrufs gesorgt, so wären die jetzigen Unklarheiten, die zur erneuten Vorlage geführt haben, nicht erforderlich gewesen. Der BGH hatte den Verbraucher mit seiner Rechtsprechung zu den Widerrufsfolgen faktisch schlechter gestellt als vorher, weil er nicht nur zur sofortigen Rückzahlung des Darlehens, sondern auch vorbehaltlos zur Zahlung marktüblicher Zinsen verpflichtet wurde.
Wie sollte im Falle eines Widerrufs der Verbraucher das Darlehen noch zurückzahlen können, wenn man den geringen Wert der Immobilie berücksichtigt, den eine andere Bank nicht einmal als Sicherheit bei einer Umschuldung akzeptiert?
Der EuGH hat nun klargestellt, dass der Verbraucher sich bei ordnungsgemäßer Belehrung von dem Darlehensvertrag hätte lösen können und das gesamte Vertragswerk erst gar nicht abgeschlossen hätte. Daher soll nach den Urteilen des EuGH das mit der Kapitalanlage verbundene Risiko nunmehr der Kreditgeber tragen. Der 11. BGH-Senat wird seine Rechtsprechung nun endlich korrigieren müssen.
Heißt das also, dass hier eine neue Lawine von Problemfällen auf die Verbraucherschützer und die Rechtsprechung zurollt?
Dies hängt von der Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH ab. Hier können sich für viele Verbraucher bereits neue Perspektiven gegenüber den finanzierenden Banken ergeben, auch wenn der Widerruf nicht zur vollständigen Rückabwicklung des Immobilienerwerbs führt.
Geht es nach Ihren Erfahrungen bei der Thematik Schrottimmobilien eigentlich nur noch um Altfälle, also bereits einige Zeit zurückliegende Käufe oder kommen immer noch neue Fälle dazu?
Im Bereich der Schrottimmobilien handelt es sich meistens um Altfälle. Im Bereich der Immobilienfonds wird vielen Anlegern erst jetzt die desolate wirtschaftliche Lage der Gesellschaften deutlich. Dies hängt oftmals damit zusammen, dass die Gesellschafter von den Geschäftsführungen über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaften getäuscht wurden oder – wie im Bereich der Berliner Sozialwohnungsbaufonds- dass nun die Anschlussförderung durch das Land Berlin ausbleibt.
Sehen Sie dabei auch ein Versagen der Beratung im Finanzdienstleistungsbereich?
Nach wie vor stelle ich in der Praxis fest, dass auch heute noch häufig schwere Beratungsfehler von Vermittlern, Finanzberatern und Banken begangen werden. Diese neuen und aktuellen Fälle zeigen, dass viele Anbieter im Finanzdienstleistungsbereich offenbar bis heute nicht dazugelernt haben.
Kann man dabei zwischen den unterschiedlichen Formen des Vertriebs unterscheiden? Beraten also beispielsweise unabhängige Makler seriöser? Die Strukturvertriebe hatten ja lange Zeit einen schlechten Ruf – hat sich ihre Beratungsqualität verbessert?
Ich sehe in der Praxis keine Unterschiede zwischen den Vertriebsformen. Es kommt darauf an, wann ein Vermittler überhaupt unabhängig ist. Provisionsabhängige Vermittler, die in bekannte große Finanzdienstleistungsunternehmen eingebunden sind, können durchaus mit einem Strukturvertrieb gleichgesetzt werden. Eine qualitativ hochwertige und unabhängige Finanzdienstleistung setzt voraus, dass Berufszugangsvoraussetzungen normiert werden, wie sie in vergleichbaren Berufen selbstverständlich sind. Das Drückerwesen in diesem Bereich muss ein Ende haben.
Durch diese Form der Altersversorgung wird sehr viel Geld vernichtet – was müsste sich in der Gesetzgebung ändern, um das zu verhindern?
Wie wichtig die private Altersvorsorge ist, weil die Rentenkassen leer sind, bekunden inzwischen alle Parteien. Dennoch bleiben wirksame Maßnahmen zur Verbesserung des Anlegerschutzes weitgehend aus. Gefordert werden muss eine starke öffentliche Aufsicht im Finanzdienstleistungsbereich, wobei der Verbraucherschutz als Aufsichtsziel auch für den Bankenbereich festgelegt werden müsste. Wir brauchen schärfere Bestimmungen für den Beruf des Finanzdienstleisters, der gesetzlich geregelt werden müsste. Eine Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Finanzdienstleister ist ebenso notwendig, wie eine Berufshaftpflichtversicherung für die Zulassung eines Bewerbers zur Anlageberatung. Wir können mit der bestehenden demographischen Entwicklung in Deutschland nicht weiter hinnehmen, dass volkswirtschaftlich für die Altersvorsorge angelegte Gelder der Bürger in diesem Ausmaße von unseriösen Finanzdienstleistern vernichtet werden.
Interview: Susanne Görsdorf-Kegel, Hamburg